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Letzte Fotos von Gustav Landauer

Eine quellenkritische Betrachtung (Gastbeitrag von Rita Steininger)

  • Weimarer Republik (1918-1933)

Hintergrundinformationen

Gustav Landauer (1870–1919) war während der ersten Münchner Räterepublik im April 1919 für einige Tage Volksbeauftragter für Volksaufklärung, Unterricht, Wissenschaft und Künste. Bei der Niederschlagung der zweiten Räterepublik wurde er am 2. Mai 1919 im Gefängnis Stadelheim brutal ermordet. Von Landauers Verhaftung bis zum Zeitpunkt seiner Ermordung vergingen etwa 24 Stunden. Was in dieser Zeit passierte, blieb aus Mangel an schriftlichen Belegen weitgehend unbekannt und lässt sich daher nur grob wie folgt skizzieren:

Am 1. Mai 1919 rückten Einheiten des 1. Württembergischen Freiwilligen-Regiments Abteilung Haas von Starnberg nach München vor. Gustav Landauer, der seit Mitte April im Haus von Else Eisner, der Witwe des ermordeten Ministerpräsidenten, im Münchner Vorort Großhadern wohnte, wurde dabei gefangengenommen. Mit einem Lastauto transportierte man ihn zunächst zum nahegelegenen Kreuzhof, anschließend nach Starnberg, wo er vernommen wurde. Die folgende Nacht verbrachte er im örtlichen Amtsgerichtsgefängnis.

Am nächsten Morgen sollte er mit drei weiteren Gefangenen (Starnberger Arbeiterräte) per Lastauto ins Gefängnis München-Stadelheim gebracht werden. Auf dem Sendlinger Oberfeld war die Fahrt jedoch wegen der heftigen Kämpfe in der Stadt vorzeitig zu Ende. Die letzten etwa fünf Kilometer mussten zu Fuß zurückgelegt werden. Bei der Ankunft im Gefängnis Stadelheim wurde Landauer sofort von einer Horde Soldaten umringt, mit Schlägen traktiert und kurz darauf im Gefängnishof durch Schüsse und Stiefeltritte ermordet.

Bild Nr. 83

Weithin bekannt ist die Fotografie, die Gustav Landauer nach seiner Verhaftung in Begleitung von fünf Bewachern zeigt (einer der Männer wird größtenteils von Landauer verdeckt, sodass von ihm nur ein Fuß und das Gewehr sichtbar sind). Man sieht die Gruppe an einem markanten Gebäude mit hohen Fenstern vorbeimarschieren. Links unten im Bild ist eine Person mit Mütze zu erkennen, offenbar eine Passantin oder herbeigeeilte Schaulustige. Auffallend ist außerdem, dass das Foto von einem erhöhten Standpunkt aus aufgenommen wurde. Das Foto ist am linken unteren Bildrand handschriftlich mit der Nummer 83 versehen.

Die Frage, wo und in welcher Situation das Bild entstanden sein könnte, ließ sich lange Zeit nicht klären. Die Fotografie ist zwar in den Beständen mehrerer Archive zu finden, doch die Angaben bezüglich des Aufnahmeorts bleiben vage oder widersprechen sich sogar.

Die Aufnahme des Bundesarchivs (Bild 1 unserer Galerie) befindet sich in einem Album mit handschriftlichen Einträgen von Else Eisner im Nachlass von Kurt Eisner. Die Albumseite trägt die Überschrift „Gustav Landauer am 1. Mai 1919 in Starnberg“.

Im Internationalen Institut für Sozialgeschichte Amsterdam befindet sich das Foto in einer von Ludwig Berndl angefertigten Druckvorlage mit 171 Briefen Landauers an den befreundeten Schriftsteller. Berndl schreibt dazu: „Auf dem Weg ins Gefängnis wurde Landauer von einem zufällig Vorübergehenden, einem Spanier, den ich später kennen lernte, photographiert.“

Das Staatsarchiv München bewahrt das Foto – hier gänzlich ohne Angaben – in einem Fotoalbum auf, das zahlreiche Bilder vom Vormarsch eines Freikorps auf München Ende April 1919 umfasst.

Eine im Stadtarchiv München vorhandene Reproduktion des Bildes stammt vermutlich aus einem Artikel von Karl Allmendinger, der 1919 in der Zeitschrift „Das Bayerland“ erschien. Dort ist das Bild mit der sachlich falschen Legende versehen: „Die Verhaftung des Spartakistenführers Gustav Landauer in Großhadern in der Villa der Witwe Kurt Eisners“. Abgesehen davon, dass Landauer zu keiner Zeit „Spartakistenführer“ war, unterstellt die Bildlegende, dass die Fotografie in Großhadern entstanden sein müsste. Dies ist gänzlich auszuschließen, da es im damaligen Münchner Vorort Großhadern nachweislich kein Gebäude gab, das dem auf dem Foto abgebildeten vergleichbar wäre.

Auch in Starnberg blieb die Suche nach dem Gebäude zunächst erfolglos, ebenso in München auf der mutmaßlichen Strecke des Fußmarschs vom Sendlinger Oberfeld nach Stadelheim.

Gelöst wurde das Rätsel schließlich durch den ehemaligen Stadtarchivar und Museumsleiter von Starnberg, Wolfgang Pusch. Er konnte zweifelsfrei nachweisen, dass es sich bei dem Gebäude auf Bild 83 um die 1878 eröffnete „Schlossbergschule“, die damalige Volksschule (heute Grundschule) auf dem Starnberger Schlossberg, handelt (Bild 2 unserer Galerie).

Bild Nr. 84

Else Eisners Album enthält noch ein zweites Foto, das handschriftlich mit der Nummer 84 versehen ist (Bild 3 unserer Galerie). Darauf ist Gustav Landauer stark verdeckt vor einem Militärlastwagen zu erkennen. Im Hintergrund sieht man ein Gebäude, das sich von demjenigen auf Bild 83 deutlich unterscheidet. Es handelt sich hier mit hoher Wahrscheinlichkeit um das damalige Amtsgerichtsgefängnis Starnberg, das seit 1955 ein Wohnhaus ist. Die Fassade des Gebäudes weist noch heute gewisse Merkmale auf, die auch auf dem historischen Foto zu erkennen sind.

Neue Erkenntnisse

Was Bild 83 anbelangt, so stehen Ort und Datum der Aufnahme inzwischen zweifelsfrei fest: Das Foto entstand am 1. Mai 1919 vor der Volksschule auf dem Starnberger Schlossberg. Es gibt auch eine Erklärung dafür, warum Landauer an diesen Ort gebracht wurde: Im Schulhaus befanden sich von Ende April bis Anfang Mai 1919 das Ortskommando und das Standgericht der Konterrevolutionäre.

Tatsächlich wurde Landauer in Starnberg vernommen. Else Eisner merkt dazu an: „Dort soll er laut Zeugnis eines jungen Mannes, der dann Landauer auf seinem letzten Weg photographiert hat, sich wundervoll verteidigt haben.“ Wie es scheint, entstand die Aufnahme in dem Augenblick, als Landauer nach seiner Vernehmung aus dem Schulgebäude geführt und zurück zum Lastauto gebracht wurde, das ihn anschließend zum nahe gelegenen Amtsgerichtsgefängnis beförderte.

Auch für den erhöhten Standpunkt des Fotografen gibt es eine Erklärung: Der Mann hatte sich offenbar, um eine gute Perspektive zu haben, auf die Mauer gestellt, die das Schulgelände von der Straße abgrenzte. Diese Mauer existiert nicht mehr, ist aber auf einer unveröffentlichten, sehr verwackelten Aufnahme zu erkennen, die vermutlich ebenfalls am 1. Mai 1919 im Zusammenhang mit Landauers Transport nach Starnberg entstand. Im Hintergrund der Aufnahme sieht man das Schulgebäude auf dem Schlossberg und links im Bild ein parkendes Militärfahrzeug; es handelt sich offenbar um dasselbe wie auf Bild 84. Vor der Schule versammelt sich gerade eine größere Anzahl von Menschen, möglicherweise sind es Schaulustige.

Beim Gebäude auf Bild 84 spricht vor allem die auffällige Umrandung der Fenster dafür, dass es sich um das ehemalige Amtsgerichtsgefängnis Starnberg handelt, in das Landauer am 1. Mai 1919 eingeliefert wurde. Die Fenster des jetzigen Wohnhauses weisen noch heute dieselbe Umrandung auf. Allerdings ist auf dem historischen Foto nur ein kleiner Ausschnitt des Gebäudes zu erkennen, sodass sich hier kein endgültiger Nachweis erbringen lässt.

Rita Steininger

(Autorin der Biografie „Gustav Landauer. Ein Kämpfer für Freiheit und Menschlichkeit“. München: Volk Verlag, 2020)

Der vorliegende Beitrag ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung des Artikels von Rita Steininger „Der Gefangene Gustav Landauer. Ein Bild und seine Geschichte“. In: Bayernspiegel, Zeitschrift der Bayerischen Einigung und Bayerischen Volksstiftung. 76. Jg., Ausgabe 01-02/2022, S. 13–15.