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Virtuelle Ausstellung

Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft 1919-1933

Gastbeitrag von Dr. Rainer Herrn, Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V.

  • Weimarer Republik (1918-1933)
  • Kaiserreich (1871-1918)

Hintergrundinformationen

Im Zuge der sich um die Wende zum 20. Jahrhundert herausbildenden, nahezu alle Lebensbereiche berührenden Lebensreformbewegungen, etablierte sich auch die Sexualreformbewegung, zu der das 1897 vom Arzt Magnus Hirschfeld mitbegründete Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK) als erste Homosexuellenorganisation gehörte. Wie andere ähnliche Organisationen, so der 1904 von der Radikalfeministin Helene Stöcker und dem Venerologen Max Marcuse mitbegründete Bund für Mutterschutz, ging es dem WhK um die Liberalisierung des Sexualstrafrechtes. Dazu übergab es 1898 eine von zahlreichen Politikern, Künstlern und Wissenschaftlern unterzeichnete Petition an den Deutschen Reichstag, die eine Streichung des mit der Reichsgründung 1871 eingeführten §175 RStGB verlangte, der gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen Männern mit Strafen bedrohte. Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges gelang es nicht, jene Strafrechtsänderungen politisch durchzusetzen. Unmittelbar nach Kriegsende begann eine Zeit des Aufbruchs und der revolutionären Hoffnungen. Die imperiale Ordnung war überwunden, viel Neues schien nun möglich. Aktiv beteiligt am sozialdemokratischen Wahlkampf schöpfte Magnus Hirschfeld nun Hoffnung für eine grundlegende Reform des Sexualstrafrechts in der neuen deutschen Republik. Inmitten dieser Dynamik gründete er aus seinem Privatvermögen im Juli 1919 das weltweit erste Institut für Sexualwissenschaft in einer klassizistischen Villa im Berliner Tiergarten, das als Forschungs-, Lehr-, Heil- und Zufluchtsstätte zugleich konzipiert wurde. Neben Wohnungen gab es Räume zur Behandlung und Beratung, für Laboruntersuchungen, für das Büro des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK), später auch der Weltliga für Sexualreform sowie nach dem Zukauf eines Nachbarhauses 1921 einen als Kinosaal nutzbaren Hörsaal, Ausstellungsräume und eine Bibliothek.

Im Institut arbeiteten neben Ärzten wie dem Psychiater Arthur Kronfeld, dem Sozialhygieniker Max Hodann, dem Physiologen Arthur Weil, den Gynäkologen Bernhard Schapiro und Ludwig Levy-Lenz sowie Felix Abraham auch Juristen wie Kurt Hiller und Walter Niemann. Ebenso waren Transvestiten wie Dora Richter, Intersexuelle wie Erich Amborn oder Homosexuelle wie der Schriftsteller Bruno Vogel und Hirschfelds Lebensgefährte Karl Giese dort beschäftigt. Prominente Gäste wie der britische Schriftsteller Christopher Isherwood oder der Kommunist Willi Münzenberg lebten zeitweilig im Institut. Besucht wurde es in den 14 Jahren seines Bestehens von zahlreichen Organisationen, Politikern, internationalen Wissenschaftlern, Künstlerinnen, Künstlern und Intellektuellen wie André Gide; besonders das sexualwissenschaftliche Museum war eine Attraktion.

Mit der Gründung verfolgte Hirschfeld zwei Ziele: Er brauchte wissenschaftliche Argumente, die seine Forderungen nach einem modernen Sexualstrafrecht untermauerten. Darüber hinaus wollte er der Sexualwissenschaft mit einer veritablen Einrichtung in bester Lage Berlins als eigenständiger und ernstzunehmender medizinisch-naturwissenschaftlicher Disziplin akademische Anerkennung verschaffen.

Hirschfeld hatte sich nach dem Credo, was natürlich ist, darf nicht bestraft werden, um die Jahrhundertwende dafür entschieden, mit der damals modernen genetisch-endokrinologischen Forschung für die Emanzipation sexueller Zwischenstufen, wie er Homo-, Inter- und Transsexuelle nannte, zu kämpfen. Dieser Forschungsansatz, die 1910 ausformulierte sogenannte Zwischenstufentheorie, dominierte in den Anfangsjahren die wissenschaftliche Tätigkeit der Institutsmitarbeiter. Weil er die Vielgestaltigkeit sexueller und geschlechtlicher Erscheinungsformen als Ergebnis einer angeborenen Veranlagung und der Produktion männlicher respektive weiblicher Hormone begriff, ließ er, um dies zu beweisen, die Familienstammbäume seiner (homosexuellen) Patienten durchforschen, Zellgewebe ihrer Hoden untersuchen, ihre Körper vermessen und jenen, die unter ihrer Homosexualität besonders litten und um Konversion baten, Hoden Heterosexueller transplantieren. Doch die Materie zeigte sich als komplizierter, die Kausalitäten erwiesen sich als uneindeutiger, die Untersuchungen als kostspieliger, als er angenommen hatte. Auch aufgrund der Folgen der Hyperinflation wurden die Forschungen nach den Ursachen der Homosexualität am Institut Mitte der 1920er Jahre eingestellt, danach geriet es zunehmend ins wissenschaftliche Abseits.

Nicht so in medizinpraktischer und sexualreformerischer Hinsicht: Die ab 1919 angebotene eugenisch ausgerichtete Ehe- und Sexualberatung florierte genauso wie die Behandlung sexueller Leiden und Störungen. Dazu wurden im Institut verschiedene hormonhaltige Medikamente entwickelt und getestet, an deren Verkaufserlösen Magnus Hirschfeld und Bernhard Schapiro beteiligt waren und die wesentlich zum Erhalt der Einrichtung beitrugen. Diese Forschungen an Institutspatienten wurden bis zur Schließung weitergeführt.

Außerdem entwickelte Hirschfeld ein therapeutisches Konzept, er nannte es Adaptionstherapie, mit dessen Hilfe sich Homo-, Trans- und Intersexuelle besser an jene subkulturellen Milieus anpassen sollten, die ihren Neigungen entsprachen. Nicht zu vergessen ist die ausgedehnte lukrative Gutachtertätigkeit der Mitarbeiter vor Gericht, bei der versucht wurde, das Strafmaß wegen Sexualdelikten Angeklagter so gering wie möglich zu halten.

Nach der Bekanntgabe eines Neuentwurfes für ein Sexualstrafrecht 1925 trat das unter Federführung Kurt Hillers arbeitende „Kartell für eine Reform des Sexualstrafrechts“ auf. Das war ein themenübergreifender Zusammenschluss linker sexualpolitischer Kräfte, die sich um eine Erleichterung des Scheidungsrechtes, die Aufklärung über Verhütungsmethoden, die Legalisierung der Abtreibung aus sozialer Indikation und die Entkriminalisierung der Homosexualität einsetzten und 1927 einen entsprechenden „Gegenentwurf“ für ein neues Sexualstrafrecht vorlegten. Letztlich erfolgte 1929 im Strafrechtsausschuss des Reichstages eine Abstimmung über den Fortbestand des § 175 RStGB, dessen Abschaffung mit der Stimme des konservativen Vorsitzenden Wilhelm Kahl dem Reichstag empfohlen wurde. Aufgrund der politischen Turbulenzen gegen Ende der Weimarer Zeit blieb diese Empfehlung jedoch unbeachtet.

Parallel zur Verstärkung der sexualreformerischen Aktivitäten in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre wurden im Institut Beratungs- und Aufklärungsangebote für die breite Bevölkerung ausgebaut und entsprechende populärwissenschaftliche Zeitschriften, Broschüren und Bücher produziert. In speziellen gut frequentierten Frageabenden konnte sich die breite Bevölkerung kostenlos über individuelle (Sexual-)Probleme aufklären lassen. Zudem war das Institut auch ein wichtiger Versammlungsort für Transvestiten, wo Felix Abraham Beratungen anbot, über erste geschlechtsangleichende Operationen bei „Transsexuellen“ berichtete und eine Transvestitenorganisation namens „Club D’Eon“ initiierte.

Schon 1919 war Hirschfelds Mitwirkung am ersten von Richard Oswald gedrehten homosexuellen Aufklärungsfilm „Anders als die Andern“ Anlass für konservative wie rechte Kräfte, ihn als jüdischen Sittenverderber zu diffamieren. Der Hass kulminierte darin, dass man ihn 1920 in München nach einem Vortrag auf offener Straße niederschlug. In Fortsetzung dessen wurden Hirschfeld und sein Institut ab Mitte der 1920er Jahre in der NS-Presse systematisch als Feindbild aufgebaut. Darauf griffen die Studierenden bereitwillig zurück, als sie am 6. Mai 1933 mit Lastkraftwagen zur Plünderung vor dem Institut vorfuhren. Obwohl sie Magnus Hirschfeld – der sich seit Ende 1930 auf einer Weltreise befand und die Ereignisse in Deutschland vom Exil aus abwartete – nicht antrafen, vandalisierten sie das Institut und warfen Teile der wertvollen Bibliothek und des Archivs am 10. Mai 1933 anlässlich der Bücherverbrennung auf dem Berliner Bebelplatz in die Flammen, verkäufliche Teile wurden auktioniert. Offiziell geschlossen wurde das Institut für Sexualwissenschaft am 14. Juni 1933 auf Anweisung des Berliner Polizeipräsidenten. Nachdem Hirschfelds Versuch, in Paris ein neues Institut zu gründen, gescheitert war, starb er am 14. Mai 1935 in Nizza. Einige seiner Mitarbeiter wurden verhaftet, andere tauchten unter oder flüchteten, einige begingen Suizid, nur wenige konnten ihre Karrieren im Ausland fortsetzen.