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Ferdinand Tönnies und die Soziologie in der Weimarer Republik

Gastbeitrag von Dr. Sebastian Klauke, Ferdinand-Tönnies-Gesellschaft e.V.

  • Kaiserreich (1871-1918)
  • Weimarer Republik (1918-1933)
  • Nationalsozialismus (1933-1945)

Hintergrundinformationen

Die Aktivitäten der 1909 gegründeten Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), an der federführend Georg Simmel, Ferdinand Tönnies und Max Weber beteiligt waren, wurden durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen. Die Soziologie hatte sich in dieser Zeit noch nicht als eigenständige akademische Disziplin etabliert. Erst 1919 folgte die Einrichtung dezidiert soziologischer Lehrstühle: Franz Oppenheimer wurde Professor an der Frankfurter Universität, und in Köln besetzten Max Scheler und Leopold von Wiese entsprechende Stellen. Wiese verantwortete mit den Kölner Vierteljahrsheften für Soziologie auch die erste soziologische Fachzeitschrift, die seit 1921 erschien, und war am 1918/19 gegründeten Kölner Institut für Sozialforschung tätig. Weitere fachwissenschaftliche Zeitschriften folgten.

Die Soziologie entwickelte sich zu einer akademisch verankerten Disziplin, was auch politisch so forciert wurde. In der Zeit der Weimarer Republik wurden insgesamt an 18 Universitäten soziologische Lehrstühle eingerichtet, die von 34 Personen ausgefüllt wurden. Ferdinand Tönnies, als der bekannteste Soziologe der Weimarer Zeit, bekam 1921 an der Kieler Universität einen Lehrauftrag für Soziologie zugesprochen, erhielt jedoch keinen eigenen Lehrstuhl.

In theoretischer Hinsicht war in der Weimarer Republik vor allem die von Wiese begründete Beziehungslehre - mit dem Fokus auf der Analyse der Wechselwirkungen zwischen den Menschen - prägend, die allerdings nach 1945 in der Bedeutungslosigkeit verschwand. Weitere bedeutende Soziologen der 1920er und frühen 1930er Jahre waren Ferdinand Tönnies, Alfred Weber, Karl Mannheim, Werner Sombart, Alfred Vierkandt, Hans Freyer, Theodor Geiger und Andreas Walther. Dabei entfalteten sich die verschiedenen thematischen Ausrichtungen der Soziologie; das Fach erlebte eine enorme inhaltliche Ausdifferenzierung: So war Alfred Weber in Heidelberg Vertreter einer Kultursoziologie, Andreas Walther in Hamburg betrieb eine empirisch orientierte Soziologie, um Karl Mannheim entstand die Wissenssoziologie. Am Frankfurter Institut für Sozialforschung entstand unter dem Institutsleiter Max Horkheimer ab den frühen 1930er Jahren die Kritische Theorie.

Neben den Universitäten waren außeruniversitäre Orte bedeutend für die Entwicklung der Soziologie, bspw. die Deutsche Hochschule für Politik in Berlin oder die Akademie der Arbeit in Frankfurt.

Nach längeren Überlegungen und Vorbereitungen seit 1919 erfuhr die DGS 1922 ihre Wiederbegründung. Ferdinand Tönnies wurde ihr Präsident und blieb dies bis 1933; von Wiese war die gesamte Zeit ihr Sekretär. Der Zugang zur DGS war streng limitiert und erfolgte über die Kooptierung im Rahmen eines Patensystems. Das politische Spektrum ihrer Mitglieder reichte von überzeugten Demokratinnen und Demokraten über liberale Denkerinnnen und Denker und Marxistinnen und Marxisten bis hin zu Intellektuellen der Rechten wie Carl Schmitt.

Die DGS und ihre Mitglieder waren die dominanten Akteure der Soziologie als eigenständiger Disziplin. Seit 1926 gab es zudem thematische Untergruppen für Themen wie Methodologie, Naturrecht, Wissenssoziologie und Soziographie. Die internationale Verflechtung geschah über korrespondierende Mitglieder aus dem Ausland sowie über die Teilnahme einzelner DGS-Mitglieder an internationalen Tagungen und Kongressen. Jenseits der DGS mischten sich die Soziologinnen und Soziologen durchaus auch in gesellschaftliche und tagespolitische Auseinandersetzungen ein und verstanden sich mitunter als öffentliche Intellektuelle, die auch öffentliche Vorträge hielten. So beschäftigte sich Tönnies bspw. auch mit dem Reichsschulgesetzentwurf.

Der dritte Soziologentag fand 1922 in Jena statt, weitere folgten im Abstand von jeweils zwei Jahren, zuletzt 1930 in Berlin. Thematisch waren diese Veranstaltungen nur selten mit realpolitischen und realgesellschaftlichen Entwicklungen beschäftigt, wenngleich öffentliche Intellektuelle wie Tönnies gegen den Aufstieg der Nationalsozialisten die Stimme erhoben. In Jena stand das ‚Wesen der Revolution‘ im Fokus; die anderen Themen der Soziologentage waren ‚Soziologie und Sozialpolitik‘ und ‚Wissenschaft und Sozialstruktur‘ (1924), das ‚Wesen der Demokratie‘ (1926), ‚Konkurrenz‘ (1928) und zuletzt ‚Presse und öffentliche Meinung‘ (1930).

Ein achter Soziologentag, der im April 1933 in Kiel stattfinden sollte, wurde nicht mehr abgehalten. Strebte Leopold von Wiese noch die ‚Selbstgleichschaltung‘ der DGS an, wurde sie schließlich von Hans Freyer „stillgelegt“. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde in der Folge vor allem empirische Sozialforschung betrieben, Theorie spielte weitestgehend keine Rolle. Keineswegs aber verschwand die Soziologie als Wissenschaft. Rund zwei Drittel der Soziologen mussten fliehen.

Die DGS wurde 1946 wiederbegründet; im September des gleichen Jahres fand der achte Soziologentag statt. Leopold von Wiese war hieran federführend beteiligt.