Einordnung der Quelle in den historischen Kontext
Die Bekämpfung der Hungersnot, die besonders in den Städten groß war, stellte für die neue Regierung nach dem Ende des Krieges eine enorme Herausforderung dar. Lebensmittelrationierungen und ein Schwarzmarkthandel mit Höchstpreisen führten vor allem bei Kindern und Jugendlichen zu Unterernährung und Mangelerscheinungen, die in der Folge häufig Entwicklungsverzögerungen und Anfälligkeit für Infektionen auslösten.
Weil die staatlichen Interventionen die Notlage in der Bevölkerung nicht ausreichend lindern konnten, richteten auch zahlreiche karitative Organisationen Hilfsangebote ein. So verteilte die Heilsarmee als christlich-freikirchliche Organisation Kondensmilch, die durch Geldspenden aus dem Ausland finanziert wurde, an unterernährte deutsche Kinder – eine aus aktueller Sicht eher ungewohnte Rollenverteilung, die die Fragilität sozialer Verhältnisse deutlich macht.
In seinem Schreiben bat der Generalsekretär der Heilsarmee in Deutschland den Reichskanzler um Unterstützung durch seine Unterschrift unter einen Aufruf zur „Freien Milchspende“. Aus dem Kontext des Dokumentes geht hervor, dass der Reichskanzler seine Unterschrift unter den Aufruf verweigerte, da nach Meinung der Reichsregierung die Verteilung der Milch „auch unter den Gesichtspunkten der religiösen Propaganda“ erfolgte.
Didaktisch-methodische Hinweise
Der Brief verweist auf einen wichtigen Aspekt an der sogenannten „Heimatfront“ und auf ein bis weit nach Kriegsende im gesamten Reichsgebiet auftretendes gesellschaftspolitisches und wirtschaftliches Problem: Hunger. Den Schülerinnen und Schülern sind zumeist die Dimensionen dieses existenziellen Phänomens, jenseits des „Steckrübenwinters“ 1916/17, kaum bekannt. Die Quelle verweist auf die schwierige Versorgungslage gerade für Kinder. Auch wenn die Historikerin Deborah Dwork vor vielen Jahren die These aufstellte „war is good for babies and other young children“, so zeigte sich doch die Versorgung im Reichsgebiet mit Milchprodukten bereits während des Krieges als schwierig, – und die Situation verbesserte sich auch nach Ende des Ersten Weltkrieges nur langsam. Diese Versorgungsengpässe wurden von den Zeitungen aufgegriffen, wie etwa in Düsseldorf, wo der „Düsseldorfer Milchkrieg“ 1921 für überregionale Aufmerksamkeit sorgte. Das Thema bietet sich in längerer Linie auch für einen Vergleich zum Kriegsende 1945 und der dortigen Versorgungslage der Bevölkerung, insbesondere der Kinder, mit Grundnahrungsmitteln an.
Arbeitsanregungen / Lernprodukte
- Klärt durch eine Recherche a) den Begriff „Heilsarmee“ und b) den Begriff „Kondensvollmilch“.
- Stellt Überlegungen an, warum diese Milch den unterernährten Kindern helfen konnte. Diskutiert, welche Aussagen sich über die Versorgungslage sich aus dieser Hilfsaktion ableiten lassen.
- Diskutiert, warum der Heilsarmee die Unterstützung des Reichskanzlers anstrebt.
- Erstellt ein a) Plakat, b) eine digitale Präsentation zur Versorgungslage von Kindern nach dem Ersten Weltkrieg.
- Projekt: Testet den Geschmack einer solchen Milch. Führt hierzu einen eigenen Versuch durch und erstellt gesüßte Kondensvollmilch.