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Dekolonisierung

Mit Unterzeichnung des Versailler Vertrags verzichtete Deutschland auf Kolonien.

Kämpfe in den Kolonien

Im Ersten Weltkrieg wurden auch auf deutscher Seite Afrikaner und Südseeinsulaner eingesetzt. Die Kampfhandlungen endeten in den meisten deutschen Kolonien bereits zu Beginn des Krieges mit der Niederlage der kaiserlichen Truppen und der Besetzung der Kolonien durch alliierte Streitkräfte: 1914 in Togo, Samoa, Deutsch-Neuguinea und Kiautschou, 1915 in Deutsch-Südwestafrika. Die deutsche Verwaltung und Schutztruppe von Kamerun zog sich 1916 in die neutrale spanische Besitzung Rio Muni zurück und wurde dort interniert. In Deutsch-Ostafrika führte General von Lettow-Vorbeck mit dem Rest seiner Truppen noch bis November 1918 einen Guerillakrieg gegen die Alliierten.

"Unfähig, Kolonien zu verwalten"

In den Pariser Friedensverhandlungen wurde bald deutlich, dass die Siegermächte zu einer Rückgabe des Kolonialbesitzes an Deutschland nicht bereit waren. Die Begründung, Deutschland habe sich als unfähig erwiesen, Kolonien zu verwalten, empörte die deutsche Seite über Parteigrenzen hinweg. Versuche, die Abtretung der Kolonien zumindest auf die geforderten Reparationszahlungen anzurechnen, scheiterten.

Der Versailler Vertrag wurde schließlich am 28. Juni 1919 unterzeichnet. Deutschland verzichtete in Artikel 119 des Vertrags "zugunsten der alliierten und assoziierten Hauptmächte auf alle seine Rechte und Ansprüche in Bezug auf seine überseeischen Besitzungen". Die ehemaligen deutschen Kolonien wurden unter die Mandatsherrschaft des Völkerbundes gestellt. Dieser übertrug sie wiederum an die Mandatsmächte Großbritannien (Teile Togos, Kameruns und Deutsch-Ostafrikas, heute Tansania), Frankreich (Teile Kameruns und Togos), Südafrika (Deutsch-Südwestafrika, heute Namibia), Belgien (Teile Deutsch-Ostafrikas, heute Ruanda und Burundi), Australien (Deutsch-Neuguinea), Neuseeland (Samoa) und Japan (Kiautschou, Inseln im nördlichen Pazifik). Die deutschen Bewohner der Mandatsgebiete wurden - mit Ausnahme von Südwestafrika - ausgewiesen.

Kolonialministerium ohne Kolonien

Noch eine Woche vor der Unterzeichnung des Versailler Vertrags, am 21. Juni 1919, wurde letztmals ein deutscher Kolonialminister ernannt: Johannes Bell, der zusammen mit Außenminister Hermann Müller den Versailler Vertrag für die deutsche Seite unterschrieb. Das Reichskolonialministerium ohne Kolonien befasste sich vor allem mit der Ausführung des Friedensvertrages, der Abwicklung finanzieller Verpflichtungen und der "Heimschaffung" von Schutzgebietsbeamten und Schutztruppenangehörigen. Es wurde zum 1. April 1920 als Kolonialabteilung in das Reichsministerium für den Wiederaufbau eingegliedert. Im April 1924 wurde die Kolonialabteilung, zu deren Aufgaben auch die "koloniale Propaganda" gehörte, schließlich ins Auswärtige Amt überführt.

Kolonialrevisionismus

Auch wenn Reichstag und Reichsregierung nominell hinter der Forderung nach Rückgabe der Kolonien an Deutschland standen, wurde der Kolonialrevisionismus doch vorwiegend durch Vereinigungen und Verbände, wie zum Beispiel die Deutsche Kolonialgesellschaft, getragen. Diese Organisationen standen in der Regel unter der Leitung ehemaliger führender Kolonialbeamter und -offiziere und konnten sich nie als Massenbewegungen etablieren. Der Besitz von Kolonien wurde auf ideeller Ebene als Prestigefrage betrachtet. Sie wurde darüberhinaus als Notwendigkeit für die wirtschaftliche Entwicklung und ausreichenden Siedlungsraum für die deutsche Bevölkerung propagiert. Eine umfangreiche Memoirenliteratur früherer kolonialer Amtsträger glorifizierte gleichzeitig die sogenannte Kulturmission der Europäer in Übersee und verharmloste Gewalt und Ausbeutung.

Mit Unterstützung der Reichsregierung konnten in den britischen Mandatsgebieten (Kamerun, Tanganjika) ehemals deutsche Grundstücke und Immobilien zurückgekauft und als privatwirtschaftliche Unternehmen betrieben werden. In Filmen wie "Deutsche Pflanzer am Kamerunberg" päsentierte Paul Lieberenz in den 1920er und 1930er Jahren die unter deutscher Leitung stehenden Plantagen in Kamerun als gut geführte und fortschrittliche Betriebe, die selbstverständlich zu Afrika dazugehören würden.

Selbstbestimmung für die kolonialisierten Völker

Gleichzeitig forderten allerdings sozialistische, kommunistische, pazifistische und humanitäre Gruppierungen eine Beendigung des Kolonialismus insgesamt und politische Selbstbestimmung für die kolonialisierten Völker. Die 1927 als Dachorganisation gegründete Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit wurde bald von den Kommunisten dominiert, die sich für die Errichtung von Staatssystemen nach sowjetischem Vorbild einsetzten. Bereits 1919 hatten sich in Deutschland lebende Afrikaner an das Reichskolonialamt und die Weimarer Nationalversammlung gewandt und Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung erhoben.

NSDAP: "Lebensraum" in Osteuropa statt Rückgewinnung der Kolonien

Der erstarkende Nationalsozialismus übte seit Ende der 1920er Jahre eine zunehmende Anziehungskraft auf die kolonialrevisionistische Bewegung aus. 1936 wurden die meisten Kolonialverbände im 1933 gegründeten Reichskolonialbund "gleichgeschaltet"; 1934 wurde in der NSDAP ein Kolonialpolitisches Amt eingerichtet. Auch wenn dadurch die Planungen für ein deutsches Kolonialreich in Afrika wieder neue Schubkraft erhielten, war die Rückgewinnung der ehemaligen Kolonien für die Führung der NSDAP doch nie prioritär. Adolf Hitler hatte bereits 1926 in "Mein Kampf" dem Kolonialrevisionismus eine Absage erteilt - zugunsten einer Ausweitung des deutschen Herrschaftsgebiets nach Osteuropa hin.

Literatur (Auswahl):

Deutscher Kolonialismus. Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart. Herausgegeben vom Deutschen Historischen Museum, Berlin 2016

Marianne Bechhaus-Gerst: „Nie liebt eine Mutter ihr Kind mehr, als wenn es krank ist“. Der Kolonialrevisionismus (1919-1943), in: Deutschland postkolonial? Die Gegenwart der imperialen Vergangenheit. Herausgegeben von Marianne Bechhaus-Gerst und Joachim Zeller, Berlin 2018

Europa zwischen Kolonialismus und Dekolonisierung. Informationen zur politischen Bildung Nr. 338/2018.

Sabine Herrmann