Virtuelle Ausstellung
Landeserschließung im Spiegel deutscher Kolonialkarten
Ihren Ausgang nahm die deutsche Kolonialherrschaft in der am Atlantik gelegenen Bucht der Angra Pequena, die der deutsche Großkaufmann Franz Adolf Eduard Lüderitz mitsamt dem Hinterland im Jahr 1883 erwarb. Das nach ihm benannte „Lüderitzland“ wurde 1884 unter den Schutz des Reichs gestellt und wurde zur Keimzelle des späteren Schutzgebietes Deutsch-Südwest-Afrika. Entlang der 1500 km langen Küste gab es nur zwei Naturhäfen: Die in der Mitte gelegene und seit 1895 als Freihafen in englischem Besitz befindliche Walfish Bay und die 300 km südlich gelegene Lüderitzbucht. Diese an Klippen und Untiefen reiche Felsbucht war für Schiffe nicht nur schwierig anzusteuern. Aufgrund der geringen Wassertiefe mußten Schiffe vor der Küste vor Anker gehen, um dort unter schwierigen Bedingungen geleichtert zu werden. Zugleich herrschte in Lüderitzbucht Süßwassermangel. 1891 entdeckten deutsche Kriegsschiffe schließlich das spätere Swakopmund als geeignete Landungsstelle, die um eine Landungsbrücke ergänzt wurde. Trinkwasser und Weideland in der Umgebung erlaubten die Viehhaltung, mußten gelandete Güter doch mit Ochsenwagen abtransportiert werden.
Zu Beginn der deutschen Kolonialzeit war das Innere der Schutzgebiete geographisch vielfach völlig unbekannt und stellte auf der Karte Afrikas mehr oder weniger weiße Flecke dar. Mit einfachen Hilfsmitteln wie Kompaß und Taschenuhr erstellten Forschungsreisende, Offiziere der Schutztruppe und Kolonialbeamte Routenkarten, die in der Regel nur die eigenen Wegeaufnahmen der Reisenden enthielten. Zuverlässigere Karten mit geographischer Ortsbestimmung und mit astronomischer Breitenbestimmung konnten erstellt werden, sofern die Reisenden mit einem Theodolit oder Sextanten ausgestattet waren. Die nächste Stufe der Landesvermessung stellte die Triangulation dar, die insbesondere bei den zahlreichen Grenzexpeditionen zur Bestimmung der zwischenstaatlich vereinbarten Binnenlandgrenzen zur Anwendung kam. Mit der Zeit wurde dadurch ein ausgedehntes Fixpunktnetz geschaffen, das die Grundlage für die zuverlässige Kartographierung der Schutzgebiete war.
Im Gefolge der Kolonialherrschaft untersuchten Völkerkundeforscher die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Eigenarten der Landesbewohner. So begründeten beispielsweise die Sprachforscher Carl Meinhof (1857-1944) und Diedrich Westermann (1875-1956) die Afrikanistik in Deutschland. Meinhof lehrte die Sprachen Swahili, Herero, Duala, Ewe sowie Nama. Seine wissenschaftliche Pionierleistung bestand in der Einführung von phonetischen Studien als Voraussetzung für den Vergleich afrikanischer Sprachen. Und Westermann verfaßte für die Sprache der Völkergruppe der Ewe, die den südlichen Teil Togos bewohnte, sowohl ein Wörterbuch als auch eine Grammatik. Die Quellenüberlieferung der deutschen Kolonialgeschichte ist somit auch ein Spiegelbild der ethnischen und kulturellen Besonderheiten der einheimischen Bevölkerung.
Das Vorkommen reicher Bodenschätze in Shantung, vor allem Steinkohle und Eisenerze, war maßgeblich für die Entscheidung 1898 für Kiautschou als deutschem Stützpunkt in China gewesen. Die gesamte Kohleförderung im „Interessengebiet“ Shantung erreichte 1908 nur etwa ein Fünftel der Jahresförderung eines größeren schlesischen Bergwerkes. Eine fast beispiellose Blüte erlebte hingegen das an der Kiautschou-Bucht gelegene Fischerdorf Tsingtau. Vom Ursprungsort war nach zehnjähriger Bauzeit nur noch der Yamen, ehemals Wohnsitz des chinesischen Befehlshabers, und eine taoitistische Tempelanlage erhalten. Planmäßig war eine Europäerwohnstadt mit Villenviertel, Seebad, Hotels, Stadtpark, Wohn- und Geschäftshäusern, Bank-, Post- und Bürogebäuden sowie Ladengeschäften entstanden. Klar abgetrennt davon, war nach gleichsam europäischem Muster die Chinesenwohnstadt Tapautan angelegt worden. Die natürlichen Gegebenheiten und die neu errichtete Hafeninfrastruktur bot selbst den tiefstgehenden Schiffen ausreichende Lade- und Löschmöglichkeiten.
Die ab 1899 im pazifischen Raum erworbenen deutschen Schutzgebiete wurden nach der landläufigen topographischen Einteilung in die westlich gelegenen mikronesischen und melanesischen Inseln Deutsch-Neuguineas und das zur östlichen polynesischen Inselwelt gehörende Deutsch-Samoa eingeteilt. Die Landfragmente machten insgesamt ein Gebiet von knapp 240.000 km2 aus, von dem allerdings der als Kaiser-Wilhelm-Land bezeichnete Festlandsteil von Deutsch-Neuguinea allein über 185.000 km2 umfaßte. Die Zahl der eingeborenen Bewohner aller dieser Inseln wurde 1911 auf 600.000 geschätzt. Die administrative Kontrolle übte die deutsche Kolonialmacht nur an wenigen Stelle aus. Daran änderte auch eine ganze Serie von geographischen, anthropologischen und ethnologischen Expeditionen nichts, die von deutschen Museen und wissenschaftlichen und kolonialen Gesellschaften ausgerüstet wurden.
Die kolonialwirtschaftliche Produktion Kameruns wurde vom Kautschuk dominiert. Der steigende Weltmarktbedarf, beflügelt durch den Bedarf der Elektroindustrie sowie der Fahrrad- und Automobilindustrie, hatte nachhaltigen Einfluß auf die Wirtschaftsstruktur des Schutzgebietes. Trotz der teuren Trägertransporte aus den vielfach weit abgelegenen Gebieten warf die Kautschukproduktion eine hohe Rendite ab. Besonders folgenreich für das soziale Gefüge der Landesbewohner war das Vordringen der europäischen Plantagenproduktion. Am Kamerunberg befanden sich mehr als Zweidrittel des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens im Besitz dreier großer, den Schutzgebiethandel dominierenden Gesellschaften. Die völlige Enteignung der Bevölkerung in diesem Gebiet und ihre zunehmende Proletarisierung waren eine weitere Schattenseite der wirtschaftlichen Erschließung.
Sowohl in Togo als auch in Kamerun blieb die deutsche Kolonialherrschaft im ersten Jahrzehnt auf das Küstengebiet beschränkt. Da Westafrika als eine der ungesundesten Regionen der Erde galt, war von Beginn an nicht an die Gründung einer Siedlungskolonie gedacht. Von den sechzig zwischen 1886 und 1896 nach Kamerun entsandten Missionaren starb ein Drittel an Tropenkrankheiten. Deutsche Wissenschaftler erforschten Tuberkulose, Milzbrand, Cholera, Malaria, Pest und Typhus. Grundlegend für die Bekämpfung dieser und anderer Krankheiten wurden insbesondere die Studien des Mediziners und Bakteriologen Robert Koch, dessen letzte Afrika-Reise (1906/07) als „Schlafkrankheits-Expedition“ in die Geschichte seiner Arbeiten eingegangen ist.
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die herrschaftsmäßige Durchdringung der Kolonialgebiete und ihren wirtschaftlichen Ausbau war die verkehrstechnische Erschließung und ein funktionierendes Nachrichtenwesen. Das deutsche Schutzgebiet in Ostafrika war diesbezüglich lange rückständig. Es fehlte an schiffbaren Wasserwegen, die Verwendung von Zugtieren erwies sich selten als durchführbar und an den Einsatz von Kraftfahrzeugen war in dem wegelosen Neuland war zunächst nicht zu denken. Lange Zeit blieb die Kolonie auf Karawanentransporte angewiesen, und der wichtigste Lastenbeförderer war der Mensch. Die eisenbahntechnische Erschließung setzte in Deutsch-Ostafrika erst ab 1905 ein. Die Bahnstrecke Tanga – Momba reduzierte die Transportkosten und verringerte den Zeitbedarf beispielsweise für den Transport einer Tonne Last von drei bis vier Tagen auf sechs Stunden. Spärlich war das Netz von Post- und Telegraphenverbindungen, an das zumindest die Hauptstationen angeschlossen waren. Und nur vierzehntägig wurde die Kolonie von den Postdampfern der Deutschen Ostafrika-Linie mit Brief- und Paketpost aus Europa versorgt.
Die Verwaltung der Kolonien untergliederte sich in die Zweige der Zivil- und der Militärverwaltung. Die Gebiete waren in Bezirke eingeteilt. Die Abbildung zeigt den Plan der Station Kilossa in Deutsch-Ostafrika, zugleich Haltepunkt der Zentralbahn. 1891 als Station gegründet, war Kilossa zunächst Sitz eines Bezirksamtes, später nur noch Nebenstelle. Die Station war der Standort einer Polizeitruppe mit ca. 26 Mann und hatte Post- und Telegraphenanschluß.
1908 wurden in Deutsch-Südwestafrika Diamanten entdeckt. Die Vorkommen erstreckten sich über einen 400 km langen und 15 km breiten Küstenabschnitt, der von der Empfängnisbucht südlich Swakopmund bis in die gegend der Roastbeefinsel zwischen Lüderitzbucht und Oranjefluß reicht. Von 1908-1913 wurden im Schutzgebiet 4,9 Millionen Karat Diamanten im Wert von ca. 52 Millionen Mark gefördert. Das Diamantengeschäft, an dem der Kolonialstaat durch Ausfuhrzoll und Besteuerung beteiligt war, machte in dieser Zeit zwei Drittel aller Schutzgebietseinnahmen aus.
Hintergrundinformationen
Hintergrundinformationen
Nur wenige Jahre währte die koloniale Epoche des Deutschen Reichs. Lange Zeit blieb die historische Erfahrung der dreißig Jahre währenden deutschen Kolonialherrschaft (1884-1914) relativ folgenlos für das politisch-historische Bewußtsein in Deutschland. Die hundertste Wiederkehr des Jahrestages des Herero-Aufstandes in Deutsch-Südwestafrika lenkt das öffentliche Interesse auf einen Zeitabschnitt der deutschen Geschichte, der vielfach, sofern überhaupt beachtet, nostalgisch verklärt wurde. Schwer wiegt die historische Last der "Strafexpeditionen" gegen die Volksgruppen der Herero, Nama, Maji u.v.a, die bisweilen den Charakter des Völkermords annahmen.
Doch die deutsche Kolonialgeschichte reicht weit über diesen Problembereich hinaus. Die nachfolgende Auswahl aus insgesamt fast 1.600 in einem Online-Findbuch erschlossenen überformatigen Karten aus den Akten des Reichskolonialamtes veranschaulicht nicht nur die Vielgestaltigkeit des im Bundesarchiv verwahrten Archivgutes. Sie beleuchtet auch Facetten der deutschen Kolonialherrschaft, die in bis unsere Tage spürbare wirtschaftliche, soziale und kulturelle Folgen für die Bewohner der ehemaligen Schutzgebieten haben.