Virtuelle Ausstellung
"Deutschlands Adler im Reich des Drachen - Deutschland und China im Zeitalter des Kolonialismus"- Teil 2 "Gouvernement Kiautschou"
Teil 2 der Galerie aus dieser Reihe beschreibt die deutsch-chinesischen Beziehungen von den Anfängen bis 1914 (Titel: "Von den Militärinstrukteuren bis zum Abschluss des Pachtvertrages")
Dienstpass des in der Torpedostation Whampoa tätigen Militärinstrukteurs Ernst Kretzschmar, 1884 Übersetzung Dienstpass Der vom Kaiser ernannte Generalgouverneur der beiden Kuang-Provinzen (Kuangtung und Kuanghsi), seine Exzellenz Zhang: Ausstellung eines Dienstpasses Hiermit wird dem ausländischen Militärberater Ernst Kretzschmar, der in der Torpedostation tätig ist, ein Dienstpass ausgestellt, der ihm das Betreten und Verlassen der Stadt erleichtern soll. Bei Vorlage des Passes kann der Passinhaber die Stadtgrenzen frei passieren. Zu diesem Zweck erhält Militäroffizier Ernst Kretzschmar diesen Dienstpass
Dienstpass des in der Torpedostation Whampoa tätigen Militärinstrukteurs Ernst Kretzschmar, 1884 Übersetzung 20. Tag des 12. Monats des 10. Jahres der Kuang Hsü-Ära
Plan der Seeminen- und Topedostation Whampoa (Südchina) Übersetzung 1) Dieses Gebäude hat eine Länge von 48,5 ch'i*) und eine Höhe von 11 ch'i. Es besteht aus Küche, Schlafzimmern für das Dienstpersonal und Bad. 2) Brunnen 3) Dieses Gebäude hat 2 Stockwerke, ist 80 ch'i lang, 40 ch'i breit und 20 ch'i hoch. Oben wohnen die niederrangigen Militäroffiziere, unten lagern die Wasserminen. 4) Dieses Gebäude besteht aus drei Gebäudeteilen und ist insgesamt 84 ch'i lang, 35 ch'i breit und 14 ch'i hoch. Der erste Gebäudeteil ist der Empfangssaal, der zweite Gebäudeteil dient als Torpedolager und der dritte beherbergt die Schlafzimmer der Auszubildenden. 5) Von der äußeren Begrenzung bis zum Fluss sind es 330 ch'i. 6) Dieses Gebäude ist 35 ch'i lang, 13 ch'i breit und 10 ch'i hoch. Es dient als Lager für das gesamte Bootszubehör. 7) Dieses Gebäude besteht aus vier Gebäudeteilen, ist 84 ch'i lang, 35 ch'i breit und 14 ch'i hoch. Der erste Gebäudeteil ist das Kesselhaus. Der zweite Teil dient als Maschinenraum, der dritte als Lager für Minen und Torpedos. Im vierten Gebäudeteil lagern sonstige Materialien. 8) Diese Plattform ist 260 ch'i lang und 50 ch'i breit. Sie dient als Träger für 11 Torpedoboote.
Übersetzung Schreiben Betreff: Ernst Kretzschmar, an der Ausbildungsstätte für Torpedos und Wasserminen tätiger ausländischer Militärberater Von Herr Wang, dem zuständigen Beamten der Generalbehörde für Wasserminen und Torpedos in Anbetracht der Stellungnahme des Generalgouverneurs der beiden Kuang-Provinzen Li vom 26. Tag des 9. Monats des 16. Jahres der Kuang Hsü-Ära Der ausländische Militärberater Ernst Kretzschmar hat einen Antrag auf Verlängerung seines Vertrages sowie auf Urlaub gestellt, um nach Deutschland zurück zu reisen und dort eine Prüfung ablegen zu können. Bei dieser Gelegenheit möchte er einige Auszubildende und Mechaniker nach Deutschland mitnehmen, um Ihnen die Möglichkeit zu geben, sich über die technischen Neuerungen im Bereich der Torpedotechnik zu informieren. Bezüglich dieses Antrags liegen uns auch andere Berichte und Schreiben vor, die besagen, dass Militärberater Ernst Kretzschmar den Urlaub beantragt hat, um nach Deutschland zu reisen und dort eine Prüfung abzulegen und neue Techniken kennen zu lernen, und dass sein Antrag überdies beinhaltet, zu Weiterbildungszwecken einige Auszubildende und Mechaniker mitnehmen zu dürfen. Auch die Auszubildenden selbst hegen den Wunsch, Militärberater Ernst Kretzschmar begleiten zu dürfen, um sich fortzubilden.
Übersetzung Beigefügte Abschrift des Ergänzungsberichts Stellungnahme des zuständigen Beamten: Der in der Torpedo- und Wasserminenstation als Militärberater tätige deutsch Marineoffizier Ernst Kretzschmar, Beamter vierten Ranges, beantragt eine Verlängerung seines Vertrages und bittet darum, Urlaub nehmen zu dürfen, um in Deutschland eine Prüfung ablegen und sich über die neuesten Erkenntnisse im Bereich der Torpedotechnik informieren zu können. Weiterhin beinhaltet sein Antrag, zu Fortbildungszwecken Auszubildende und Mechaniker mitnehmen zu dürfen. Zurück in Kanton könnten diese Auszubildenden laut Kretzschmar ihr Wissen dann den übrigen Auszubildenden vermitteln, was einen großen Nutzen bedeuten würde, da alle von den neuen Kenntnissen profitieren würden. Ich habe den Sachverhalt geprüft und festgestellt, dass der ursprüngliche Vertrag des ausländischen Militärberaters Ernst Kretzschmar im 12. Monat des 10. Jahres der Kuang Hsü-Ära begann und zunächst eine Laufzeit von drei Jahren vorsah. Da sich herausstellte, dass er als Militärberater sehr guten Unterricht hält, wurde sein Vertrag um ein Jahr verlängert und auf den Bereich der Wasserminen ausgeweitet. Sein monatliches Gehalt beträgt 400 Silbertael.
Entsendung des Militärinstrukteurs Ernst Kretzschmar nach Hongkong zur Prüfung der Ladung des Dampfers Oberon, ca. 1890/1891 (Teil 1) Übersetzung (gesamt) In meiner Funktion als Militärberater wurde ich nach Hongkong entsandt, um die Ladung des Dampfers Oberon zu überprüfen. Zu diesem Zweck wurden die drei Militärschiffe Kuang-chin, Chên-t'ao und Shên-chi sowie die beiden Torpedoboote Lei-lung und Lei-hu ausgeschickt, um die Lage zu sondieren, und es wurde angeordnet, einen Bericht zu verfassen, der bei höherer Stelle einzureichen ist. Der Bericht lautet wie folgt: Militärberater Hu Mei-li und Kommandant Liu Yi-k'uan haben das Oberkommando über die drei Militärschiffe und fahren am 15. von Whampoa zum Tolo-Hafen (Tai Po Hoi), wo sie bis zum 21. die Lage überwachen, anschließend fahren sie zu den nahe gelegenen Inseln, um den Dampfer Oberon auszuspionieren. Ich erteile den Befehl, dass die beiden Torpedoboote am Nachmittag des 15. in der Flussbiegung des Hsiang Chiang vor Anker gehen sollen. Jeden Tag fahre ich zusammen mit den Kommandanten der beiden Torpedoboote auf einem kleinen Dampfschiff oder einem Boot durch den Hafen, um Informationen über Oberon zu sammeln.
An den Generalgouverneur von Beiyang Li Hung-chang im Auftrag des Generalgouverneurs der beiden Kuang-Provinzen Li Han-chang: Belohnung von Ernst Kretzschmar mit u.a. zwei Seidenballen für seine Verdienste als Militärinstrukteur durch den Prinzen, 1892 Übersetzung Schreiben Betreff: Der ausländische Militärberater bei der Torpedo- und Wasserminenstation Ernst Kretzschmar Von der Kantonesischen Oberbehörde für Küstenverteidigung und Beschaffung Bezüglich des Berichts vom 11. Tag des 9. Monats des 17. Jahres der Kuang Hsü-Ära Im Auftrag vom Generalgouverneur der beiden Kuang-Provinzen Li Han-chang An den Generalgouverneur von Beiyang*) Li Hung-chang Wie von En You, dem Generalsekretär der obersten Marinebehörde, berichtet, hat Mu Lin die von einem Sekretär (chang-ching) des Außenministeriums (Zongli Yamen) übermittelten Anweisungen erhalten und an ihn weitergeleitet. Der Prinz übereicht Ernst Kretzschmar als Belohnung zwei Seidenballen und zwei Schatullen mit wertvollen Gegenständen. Diese Belohnung wurde zur Weiterleitung an Ernst Kretzschmar zunächst unserer Behörde überbracht.
Bericht von Tirpitz an den kommandierenden Admiral Eduard von Knorr über den augenblicklichen Stand der Information über etwaige Stützpunkte in Asien, 5. September 1896
Transkription Kommando Tsingtau, den 10. Januar 1898 Des Kreuzergeschwaders An Geheim-Buch Nr. 17 den kommandierenden Admiral Landerwerb am Eingang Berlin Zur Kiautschau-Bucht Euer Excellenz Telegramm vom 14. October 1897 hatte die Abhaltung der Schießübung von Seiner Majestät Schiff "Kaiser" in der Kiautschau Bucht befohlen. Ich beabsichtigte, diese Gelegenheit zur Erkundschaft der Grundbesitzverhältnisse an den Ufern der Bucht und, wenn thunlich, zur Erwerbung von Grund und Boden für spätere Hafenanlagen daselbst zu benutzen. Auf Empfehlung des Generalkonsuls Stuebel, dem ich meine Absicht mitgetheilt hatte, trat ich mit der Firma Carlowitz & Co in Shanghai in Verbindung, deren Ergebniß anliegender Entwurf zu einem Abkommen war. Die Heranziehung eines mit den chinesischen Ver- hältnissen vertrauten Unterhändlers und von Chinesen, welche ihren Namen zum Kauf hergaben, war nöthig, weil Europäer außerhalb der Vertragshäfen rechtsgültig kein Land erwerben dürfen. Die Absicht kam nicht zur Ausführung, weil durch die Besetzung des Gebietes um die Ufer der Bucht neue Rechtsverhältnisse geschaffen wurden. In der Proklamation, welche bei der Besetzung veröffentlicht und darauf im ganzen Gebiet verbreitet worden ist, verbot ich nunmehr den Besitzwechsel von Grundeigenthum ohne
Transkription Auswärtiges Amt Abschrift Ad Acta Specialia. 1274 Vertrags-Entwurf Artikel I Die Kaiserlich Chinesische Regierung, um der Kaiserlich deutschen Regierung die Erfül- lung ihres berechtigten Wun- sches zu ermöglichen, ebenso wie andere Mächte in den Ostasiatischen Gewässern einen Punkt zu besitzen, an dem deutsche Schiffe ausgebessert und ausgerüstet und die für diesen Zweck erforderlichen Materialien und Vorräthe niedergelegt, sowie sonstige Einrichtungen getroffen werden können, überläßt der Kaiserlich deutschen Re- gierung pachtweise vorläufig für die Dauer von 99 Jahren
Der deutsche Gouverneur von Kiautschou Oskar von Truppel an die Bevölkerung: Öffentliche Bekanntmachung zur Einhaltung der Bestimmungen des Pachtvertrages zwischen dem Deutschen Reich und der Qing-Dynastie (in klassischem Chinesisch), 6. März 1898 Erläuterung des deutschen, vom Kaiser persönlich ernannten Gouverneurs Oskar von Truppel, zuständig für die Regelung der Angelegenheiten in Kiautschou Zu den in Bezug auf dieses Land ergangenen Befehlen Bereits im letzten Jahr, am 14. November westlicher Zeitrechnung, erging der Befehl an die deutschen Truppen, in die Kiautschou-Bucht einzumarschieren. Anlass war die Ermordung deutscher Missionare in der Provinz Schantung, für die von China Wiedergutmachung zu leisten ist. Den deutschen Beamten sollte zur Sicherung des Friedens die Möglichkeit gegeben werden, zum Schutze ihrer Bevölkerung auf eigenem Grund und Boden agieren zu können. Sämtliche Straftäter, die diesen Frieden stören, sind streng nach dem chinesischen Gesetz zu bestrafen. Bei einem Mord an einem deutschen Bürger hingegen, muss das deutsche Militärgesetz zur Anwendung kommen. Und genau so ein Fall ist hier gegeben.
Hintergrundinformationen
Hintergrundinformationen
Die "Musterkolonie" Kiautschou: Die deutsch-chinesischen Beziehungen von 1897 bis 1914
Vorgeschichte
Überlegungen zur Einrichtung eines deutschen Stützpunktes in Ostasien wurden bereits lange vor der Besetzung Jiaozhous (Kiautschous) durch deutsche Truppen angestellt. So bereiste der Geologe und Geograf Ferdinand Freiherr von Richthofen in den Jahren 1868 bis 1871 China und wies auf die mögliche künftige Rolle der Jiaozhou (Kiautschou)-Bucht als Flottenstützpunkt hin.
Die Ergebnisse seiner Forschungsreisen in China fasste von Richthofen in verschiedenen Schriften und Kartenwerken zusammen. Hervorzuheben sind das fünfbändige Werk "China: Ergebnisse eigener Reisen", der großformatige "Atlas von China" (1883, 1912) und die posthum erschienen Tagebücher seiner China-Reisen. Damit legte von Richthofen einen wichtigen Grundstein zur wissenschaftlichen Erschließung Chinas und zeigte Richtungen für die Entwicklung von Wirtschaft, Handel und Verkehr auf. Richthofen, der zwar die Jiaozhou (Kiautschou)-Bucht persönlich nicht in Augenschein genommen hatte, aber Shandong kannte, empfahl die Bucht für die Anlage eines Hafens und einer Kolonialstadt. Unter Abwägung alternativer Standorte wies er auf die Vorzüge der Region hin: Die ganzjährig eisfreie Bucht schien ein guter Ausgangspunkt für Infrastrukturmaßnahmen zur Erschließung des Hinterlandes mit seinen reichen Kohlevorkommen zu sein. Als weitere Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg nannte von Richthofen die Anlage einer Bahntrasse durch die Halbinsel Shandong, um Anschluss an die wichtigsten Hauptverkehrswege Chinas zu gewinnen.
Vor der Umsetzung dieses Gedankens bestanden bereits Beziehungen des Deutschen Reiches mit China seit der sog. "Li-Fengbao-Mission" 1884/85. Der damalige chinesische Gesandte in Berlin Li Fengbao hatte in diesen Jahren deutsche Militärinstrukteure angeworben, um mit ihrer Hilfe die chinesische Armee zu modernisieren. Sie wurden mehrheitlich im nordchinesischen Tianjin oder im südchinesischen Canton eingesetzt. Insgesamt gestaltete sich der Erfolg dieser Missionen recht unterschiedlich. So scheiterten manche Instrukteure an ihrer Überheblichkeit und Unfähigkeit im Umgang mit den Chinesen und der chinesischen Kultur, während beispielsweise der in Canton tätige Torpedospezialist Ernst Kretzschmar seine vergleichsweise produktive Tätigkeit dem Umstand verdankte, dass er auch widrige Umstände und Verschlechterungen seiner Arbeitsbedingungen zu akzeptieren bereit war.
Wirklich in Bewegung kam die Errichtung einer eigenen deutschen Kolonie in der Bucht von Jiaozhou (Kiautschou) mit der Inspektion der Bucht durch Alfred von Tirpitz, im Gefolge der Empfehlungen Richthofens, im Sommer 1896 als Chef des ostasiatischen Kreuzergeschwaders. Tirpitz empfahl dem Kaiser, sich auf die Bucht als möglichen kolonialen Stützpunkt zu konzentrieren. Wilhelm II. stimmte dem Ansinnen zu und ließ erste militärstrategische Pläne für eine Besetzung ausarbeiten.
Einen Zwischenfall - die Ermordung zweier deutscher Missionare der Steyler Mission am 1. November 1897 in Südshandong durch Mitglieder einer chinesischen Geheimsekte - nahm Kaiser Wilhelm II. schließlich zum Anlass, die Jiaozhou (Kiautschou)-Bucht durch Schiffe des ostasiatischen Kreuzergeschwaders unter Konteradmiral Otto von Diederichs am 14. November 1897 besetzen zu lassen. Zur gleichen Zeit bemühte sich die chinesische Qing-Regierung, den entstandenen Konflikt beizulegen und die befürchtete Okkupation zu verhindern. Als ihr im Dezember 1897 klar wurde, dass die deutsche Seite eine längerfristige Besetzung vorbereitete, begannen Verhandlungen über die Jiaozhou (Kiautschou)-Bucht sowie über deutsche Konzessionen für Eisenbahn- und Bergbau in der Provinz Shandong. Diese Verhandlungen wurden mit dem Vertrag vom 6. März 1898 zwischen dem Deutschen Reich und der Qing-Dynastie abgeschlossen. Die Qing-Dynastie verpachtete dem Deutschen Reich die Jiaozhou (Kiautschou)-Bucht auf 99 Jahre und sprach ihm die volle Oberhoheit über das "Pachtgebiet" zu. Mit dem Vertrag wurde die deutsche Expansion auf eine völkerrechtlich formale Grundlage gestellt. Kaiser Wilhelm II. stellte durch Kaiserliche Ordre vom 27. April 1898 Jiaozhou (Kiautschou) unter seinen Schutz - wie die anderen Kolonien des Deutschen Reiches. Jedoch unterstand Jiaozhou (Kiautschou) nicht der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, sondern wurde auf Drängen von Admiral von Tirpitz bereits am 27. Januar 1898 dem Reichsmarineamt unterstellt.